Zwei Gäste, eine Folge: Der Gastronom Gerrit Lerch über die Hamburger Craftbeer-Szene damals und heute und Biere, die zum Einbalsamieren schön sind. Bier-Journalistin Mareike Hasenbeck über ihr Buch “Bier Unser”, die Qual der Brauereiauswahl und Lampenfieber.
Der Hamburger Gastronom Gerrit Lerch war einer der ersten, der das IPL Prototyp von der Kehrwieder Kreativbrauerei an den Hahn nahm. Da sollte es bleiben. Bis heute. In seinem Galopper des Jahres – Haus 73 gehört es neben vielen weiteren ausgewählten Bieren zum Standard. Sein Lokal hat sich zu einem Hybrid zwischen Craftbeer- und Szene-Bar entwickelt. Viele, die hier einkehren, suchen nicht zwingend Bierspezialitäten, aber sie können sie hier entdecken. Für Gerrit gehört Sortenvielfalt zum Programm, er selber ist stark bierverliebt. Seine Leidenschaft für Craftbeer und kreative Biere begann auch mit dem Prototyp. Das IPL, erdacht und gebraut von Fiete Matthies, heute Wildwuchs Brauerei, und Kehrwieder-Braumeister Oliver Wesseloh, war, zusammen mit der Eröffnung des Alten Mädchens in den Schanzenhöfen, der Startschuss für die Craftbeer-Szene in Hamburg. Im April feiert das Bier seinen zehnten Geburtstag, und Gerrits Galopper wird in diesem Jahr ebenfalls zehn Jahre alt.
Dann ist da noch Mareike Hasenbeck, die im Februar 2023 auf den zehnten Geburtstag ihres Blogs “Feiner Hopfen“ anstieß – und gerade ihr erstes Buch veröffentlicht hat. “Bier Unser”, eine Liebeserklärung an die Brauereikultur. Mit dabei: die Kehrwieder Kreativbrauerei. All das war uns eine Sonderfolge wert.
Supporter hören schneller HHopcast – sie können früher auf diese Folge zugreifen. Danke an alle Unterstützer*innen auf Steady und in den sozialen Netzwerken! Ihr macht HHopcast möglich.
Lieber Hörer und Hörerinnen: Bitte denkt daran, uns eine positive Bewertung zu schenken, den Podcast zu abonnieren und ihn zu empfehlen, wenn er euch gefällt. Das hilft uns sehr!
“Die Sortenvielfalt, die macht es am Ende aus.”
Regine: Das Prototyp wird zehn und du warst einer der Ersten, der dieses Bier am Hahn hatte. Ich las, du wirst sozusagen als Onkel dieses Bieres bezeichnet.
Gerrit Lerch: Das finde ich ganz erfreulich, dass man mich nicht als Opa dieses Bieres bezeichnet. Ja. Der Laden ist zehn Jahre alt und genauso lange hängt es bei uns am Hahn. Ich glaube, im August haben wir den Laden aufgemacht. Also August 2013. Ich würde sogar, ohne mich jetzt zu versteifen, sagen, es ist das einzige Bier, was wir seitdem immer fest am Hahn haben.
Regine: Wie kam das damals zustande?
Gerrit Lerch: Damals waren es ja noch Fiete und Olli gemeinschaftlich. Ich las über die beiden in einem Artikel im Hamburger Abendblatt und habe mir gedacht, die muss ich unbedingt mal kennenlernen. Ich wusste ja schon, dass ich einen Laden aufmache, der sich mit Craftbeer beschäftigen möchte. Ah, jetzt kommt das Bier dazu…
(Drei frisch gezapfte Biere werden auf den Tisch gestellt)
Gerrit Lerch: Jetzt kommt das Bier auch noch. Herrlich. Vielen Dank! Herrlich sieht es aus.
Regine: Prost!
Gerrit Lerch: Wohlsein!
Stefan: Prost! Das perlt aber auch wieder so, wie es schmeckt.
Gerrit Lerch: Schon seit über zehn Jahren. Ja, so kam das damals zustande. Zwei coole Typen sind das, dachte ich, die möchte ich gerne mal kennenlernen und, wenn es dann losgeht hier bei uns im Laden, möchte ich vielleicht mit denen was gemeinschaftlich machen. Ein halbes Jahr davor habe ich sie besucht. Da waren Sie eigentlich ja auch noch relativ frisch dabei. Da hatten die in Finkenwerder ihre Brauanlage hingestellt. Die sah geil aus, muss man sagen. Sah so ein bisschen aus wie irgendwas, was Daniel Düsentrieb gebaut hatte und hatte wenig zu tun mit den Dingen, die man sonst vom Brauen her kennt. Die beiden Bastelköppe hatten das irgendwie so hingekriegt. Und ich weiß auch gar nicht genau, ob die Anlage überhaupt irgendwann mal funktioniert hat, ehrlich gesagt. Sie erzählten dann ja auch, dass sie das Bier woanders brauen. Es war ja auch völlig legitim. Und dann saß ich da in Finkenwerder auf irgendeinem alten Fass und habe mich da mit den beiden Jungs unterhalten. Und irgendwie haben wir zueinander gefunden. Das passte auch gleich.
Stefan: Super, sehr gut. Und dann habt ihr im August den Galopper des Jahres aufgemacht. Und woher kommt deine Leidenschaft für Bier? Also es wird ja nicht nur der Artikel gewesen sein.
Gerrit Lerch: Das war nicht nur der Artikel. Ich bin irgendwann in ein Dorf gezogen, das nennt sich Grönwohld und da gibt es eine kleine Brauerei. Die nennt sich auch Grönwohlder Brauerei. Bei Torsten Schumacher, der den Laden macht, habe ich einen Braukurs gemacht. Da habe ich mir überlegt: Mensch, eigentlich müsste man doch mit diesen kleinen Brauereien viel mehr machen. Ich hatte mich, obwohl ich ja schon ein paar Jahre länger in der Gastronomie bin, also seit ’98, im Prinzip lange Jahre überhaupt nicht mit der ganzen Vielfalt auseinandergesetzt. Das muss man ehrlich sagen. Wir waren schon ganz weit vorne, weil wir schon 1999 ein Augustiner aus der Flasche hatten oder einen Rothaus Tannenzäpfle.
Stefan: Welcher Laden war das damals?
Gerrit Lerch: Das waren das Bedford und das BP1 hier im Schanzenviertel.
Stefan: Da habe ich tatsächlich das erste Ratsherrn Zwickel vom Fass getrunken.
Gerrit Lerch: Ja, siehst du?
Stefan: Mit der null Ahnung, die ich damals hatte, war ich kurz davor hinzugehen, zu sagen, dass das unterkarbonisiert ist. Aber mittlerweile weiß ich ja, dass Zwickel irgendwie das, was ja gerade mal nicht so stark favorisiert ist. So hatte ich einfach keine Ahnung damals.
Gerrit Lerch: Ja, genau. Also das hatten wir in den Läden, glaube ich, die letzten zwei Jahre.
Regine: Erinnerst du dich dann noch, als du das Prototyp oder den Prototyp, das Prototyp-Bier, zum ersten Mal probiert hast?
Gerrit Lerch: Ja, die beiden Jungs hatten das nämlich da, als ich sie in Finkenwerder traf. Da hatten sie ein Fläschchen dabei. Und ich habe es wirklich genossen. Es war ein geiles Bier. Also dieser absolute Unterschied zu anderen Bieren. Ich war nicht ganz unbeleckt. Es gab also schon mal Kontakt auch zum Pale Ale, aber das war schon etwas Spezielles und Besonderes. Also es hat mir richtig, muss ich sagen, richtig gut gefallen. Sofort.
Regine: Ist es als Gastronom aber nicht auch ein Wagnis, so ein Bier an den Hahn zu nehmen? In einer Gegend wie jetzt hier dem Schulterblatt, wo jetzt ja nicht nur Bier-neugierige und Vielfalt suchende Menschen durch die Gegend laufen, sondern auch Menschen, die einfach bequem ein Bier trinken möchten.
“Es kamen dann schon auch schlichtere und trinkbare Biere an den Hahn, Pilsner Urquell zum Beispiel. Man muss es gestehen, es wurde und wird dankbar angenommen.”
Gerrit Lerch
Gerrit Lerch: Ja, ich denke schon, dass das irgendwie schon ein Wagnis war. Es gab natürlich dann mit dem Altes Mädchen, die kurz vor uns aufgemacht hatten, schon mal so einen Türöffner für diese Szenerie. Aber ich war mir einfach sicher, es war 2013. Das war so eine Phase, wo alle noch dachten “Hey, Craftbeer, der heiße Scheiß, da geht so richtig was. Und am Anfang hatten wir hier statt der zwölf, die wir jetzt haben, nur sechs Hähne. Also das ist ja auch noch überschaubar. Am Anfang habe ich dann noch das Ricklinger Pils vom Fass gehabt. Das ist ja schon sehr speziell, kann man sagen. Also, das ist ja kein normales Pils. Wir sind ja so ein Hybrid aus normaler Bar und Craft-Bier Bar und mussten einen Weg finden, das umzusetzen. Denn wenn dann Leute hereinkommen, die sagen: Warum habt ihr denn nicht auch ein normales Pils? Und man gibt ihnen das Ricklinger, das empfinden sie eben nicht als normal. Das ist so und das, muss ich sagen, haben wir dann auch über die Jahre ein wenig korrigiert. Es kamen dann schon auch schlichtere und trinkbare Biere an den Hahn, Pilsner Urquell zum Beispiel. Man muss es gestehen, es wird dankbar angenommen. Also gerade von denen, die bei uns an den Tresen kommen und sagen: zwei Bier. Wir haben uns angewöhnt, dann entweder ein Pils oder ein Helles auszuschenken, also entweder ein Bayreuther Hell oder ein Pilsner Urquell.
Regine: Aber damit ist die Story, die auch auf der Homepage steht, bei euch: Wir haben eigentlich nur Biere von inhabergeführten Brauereien im Ausschank, nicht hundertprozentig wahr. Pilsener Urquell gehört zu einem japanischen Bierkonzern.
Gerrit Lerch: Das ist richtig. Ehrlich gesagt ist es auch gar nicht so, dass das genau das ist, was mit 100 % wichtig ist. Also ich bin ein Riesen-Fan davon, lokale oder auch kleinere Brauereien zu unterstützen oder die Bier-Vielfalt insgesamt zu unterstützen. Aber ich bin jetzt nicht unbedingt der Verfechter, alles zu verdammen, nur weil es ein bisschen größer ist. Und wenn mir das Bier schmeckt, wenn mir die Leute, die es vertreiben, gefallen, wenn die Politik, die hinter dieser Marke steht, nicht völlig dem widerspricht, was wir hier vertreten, dann verkaufe ich das ehrlich gesagt mit dem reinsten Gewissen.
Regine: Du möchtest kein Missionar werden, möchtest du damit sagen, oder?
Gerrit Lerch: Nein. Denn man muss auch sagen, der Laden liegt natürlich an einer Stelle der Stadt, wo am Wochenende, am Freitag und Samstag, wo wir ungefähr 80 % unserer Umsätze machen oder mehr, hier auch ganz viele verschiedene andere Menschen hereinkommen, die überhaupt keine Ahnung von Craft-Bieren haben. Wenn man die nur mit irgendwelchen Wahnsinnsbieren peinigt, ist das ja auch nicht ganz das, was die Leute brauchen. Hier kommen auch Leute zum Fußballschauen her. Und wenn ich denen ein Barley-Wein einschenken, sind die verwirrt.
“Ich zahle auch jeden Tag Miete, also soll auch der Laden jeden Tag auf sein.”
Gerrit Lerch
Stefan: Dann ist das Spiel nach der ersten Halbzeit auch gelaufen. Du machst das jetzt seit fast zehn Jahren und ziehst das auch durch mit dem Craftbeer. Das muss sich ja irgendwie rechnen. Also wie ist das Verhältnis von standardisierten und Craftbieren?
Gerrit Lerch: Also erst mal würde ich sagen, unser Alleinstellungsmerkmal ist halt Fassbier. Die Sortenvielfalt, die macht es am Ende aus. Ich bin überzeugt, dass deshalb noch viel mehr Menschen gerne zu uns in den Laden kommen. Demzufolge ist das eine politische Entscheidung, wenn man so will. Wir wollen das. Ich möchte das gerne. Ich möchte mit Craft-Bier arbeiten und ich möchte gerne mit diesen kleinen, alternativen Brauereien zusammenarbeiten. Ob sich das jetzt am Ende wirklich finanziell für jedes einzelne Fass und jede einzelne Brauerei, die wir hier mal haben, für uns lohnt oder auch für die Brauerei. Nun ja. Wir nehmen ja oft nur kleine Mengen ab. Das ist durchaus fraglich.
Stefan: Was euch auch noch auszeichnet, ist: Ihr habt eigentlich fast immer auf. Wenn man nämlich so als Fußballfan auch in Hamburg an einem Montag zum Beispiel denkt, ich hätte heute mal Bock, irgendwie was vom Hahn zu trinken, dann wird es schon dünn.
Gerrit Lerch: Ja, definitiv. Das muss natürlich eigentlich klare Firmenpolitik sein. Das ist meine Einstellung dazu: Ich zahle auch jeden Tag Miete, also soll auch der Laden jeden Tag auf sein. Ich kann natürlich verstehen, wenn man vielleicht nicht in einer perfekten Lage ist, in Stadtteilen, wo vielleicht nicht ganz so viel los ist. Ich sitze da auf dem hohen Ross hier mitten im Schanzenviertel.
Stefan: Na ja, das stimmt.
Regine: Nun hast du ja auch nicht nur ein Herz für die Biervielfalt, sondern auch für die Hobbybrauenden. Die kommen hier ja auch immer gerne unter bei dir, oder?
Gerrit Lerch: Ja, die kommen wirklich sehr gerne. Also die kommen ja mindestens ein oder zweimal im Jahr. Wir positionieren sie dann hinten im Hinterhof oder sie machen ihre Stammtische hier. Sie sind gerne gesehene Gäste und mittlerweile auch echte Freunde zum Teil. Und ich genieße es auch immer sehr, wenn der eine oder andere von den Hobbybrauenden, wo man immer schon dachte, die sind einfach auch zu gut, um nur zu Hause zu brauen, irgendwann die eigene Brauerei eröffnet beziehungsweise das Brauen zumindest professionell ausübt. Zum Beispiel Locksmith oder Cool Cats in Town.
Stefan: Die du heute sogar am Hahn hast, wie ich gesehen habe ich.
Gerrit Lerch: Richtig. Am 29. April haben wir auch einen kleinen Brauer-Stammtisch mit diesen beiden hervorragenden Brauereien. Wenn wir als Heimbrauern wie ihnen die Plattform bieten können, sich hier sich zu exponieren und die dann irgendwann wirklich ihre eigenen Sude produzieren, das gefällt mir immer besonders gut.
Regine: Super, das zieht wahrscheinlich auch noch mal ein ganz anderes Publikum an, oder?
Gerrit Lerch: Ja, ich mag das. Ich liebe es, wenn die Leute extra kommen dafür. Wir hatten jetzt am Wochenende einen Brauer-Stammtisch mit Maisel & Friends. Mit Fiete von Wildwuchs, mit Buddelship oder Two Chefs aus Amsterdam. Es war rappelvoll und die Leute haben alle Lust gehabt, die Sachen zu probieren. Maisel & Friends hatten auch das grandiose Bockville dabei, eine Collab mit Figueroa.
Stefan: Ja, das steht noch im Studio, wir müssen das noch probieren.
Gerrit Lerch: Trink’ es mal! Ich habe schon Michael König gesagt: Ich möchte damit einbalsamiert werden. Es haut einen so um. Es ist wirklich ein fantastisches Bier.
Regine: Aber wie praktisch für dich, dass die Leute extra kommen, aber dass die so tolle Biere mitnehmen, oder?
Gerrit Lerch: Ja, es ist ein Traum.
Regine: Die eine oder der andere ist jetzt neidisch.
Gerrit Lerch: Mit Recht, mit absoluter Berechtigung. Also ich werde natürlich auch sehr häufig mit Bieren bemustert.
Regine: Deshalb machst du das Ganze doch, gebe es zu.
Gerrit Lerch: Das ist absolut korrekt. Also meine Frau fand das manchmal gar nicht so witzig. Wenn ich dann, keine Ahnung, 30 oder mehr verschiedene Biere von irgendwelchen Brauereien bei mir oder bei uns im Kühlschrank hatte. Mittlerweile habe ich das geändert und habe mir einen eigenen Kühlschrank zugelegt. Also die Bemusterung finden immer noch statt, weil es gibt gar nicht so viele Craft-Bier-Schänken, die vielleicht auch eine, na ja relevante Menge abkaufen. Wir geben uns alle Mühe und nehmen zwar manchmal auch nur fassweise ab von manchen Brauereien, aber selbst das ist ja für manche schon echt viel wert.
“Am liebsten würde ich jedem einzelnen Brauer, den ich gerne habe, sein Bier abkaufen. Aber ob das dann am Ende noch als geschäftstüchtig bezeichnet werden könnte…”
Gerrit Lerch
Stefan: Es ist auch ein Laden, wo man eben auch sehr gut hingehen kann, wenn man mit Leuten unterwegs ist, die keinen Bock auf Craft-Bier haben. Die können dann halt eben Pilsener Urquell oder ein Helles trinken und man selber kann sich was Schönes bestellen.
Gerrit Lerch: Also wenn man ehrlich ist, es gibt einen Trend zu schlichteren oder einfach trinkbaren Bieren. Das muss man den Leuten schon bieten. Am liebsten würde ich jedem einzelnen Brauer, den ich gerne habe, sein Bier abkaufen. Aber ob das dann am Ende noch als geschäftstüchtig bezeichnet werden könnte, das steht dann zur Debatte. Ich befürchte, das geht halt nicht immer.
Stefan: Ja, ja.
Regine: Ja, Du hast gelernt, Nein zu sagen.
Gerrit Lerch: Ich musste das irgendwann lernen. Wir haben ja immer sieben feste Biere am Hahn und ich finde das auch eine gute Menge an festen Bieren. Und das sind halt auch die Biere, die wollen die Leute halt auch haben, die wollen ja ein Wiedererkennungswert haben. Die wollen halt einfach auch wissen, das Bier, was ich gerne trinke, ist da. Wenn wir jetzt noch mal wieder zum Prototyp kommen, ich habe Freunde, die nur deshalb hier in diesen Laden kommen.
Regine: Das finde ich einen schönen Punkt, weil am Ende geht es ja auch darum, die lokale Bauwirtschaft zu stärken. Wir haben ja das große Glück, dass wir hier eine gute haben, wobei die natürlich auch gerade schweren Zeiten gegenübersteht. Du hast gerade eben gesagt, 2013, da haben noch alle gedacht, das geht jetzt voll ab. Das klang so, als würde man das jetzt nicht mehr denken.
Gerrit Lerch: Ja, man ist natürlich ein kleines bisschen desillusionierter, das muss man einfach schon so sagen, weil so der ganz große Hype, der in anderen Ländern einfach vonstattengeht, findet hier nicht statt. Schau nach England, Dänemark, wo ich regelmäßig hinfahre – das ist einfach eine andere Liga, auch in Osteuropa, in Polen. Also, das ist verrückt. Dass die Deutschen immer noch nicht zu 100 Prozent auf diesen Zug aufgesprungen sind, das tut mir einfach weh. Jetzt in der Woche haben wir einen stärkeren Verkauf von Craft-Bieren insgesamt. Da haben wir ja auch mehr Zeit zu beraten. Wenn natürlich die Bude am Freitag und Samstag aus allen Nähten platzt, dann hast du nicht wirklich die Zeit, den Leuten zu erklären, was das ist, was die Brauerei jetzt mit dem Bier meinte. Ich glaube, das ist ein Riesenproblem, was nie wirklich ernsthaft stattgefunden hat, weil die Craftbeer-Brauereien gleich in den Einzelhandel drängelten, statt sich über die Gastronomie zu positionieren. Das war nicht besonders gut. Also Leute kaufen sich dann irgendwelche Biere, von denen sie keine Ahnung haben und sagen dann hinterher: Das war ja komisch, das trinke ich nie wieder.
Regine: OK, du hast ja aber auch Bock auf das Thema. Nun gibt es ja auch viele Gastronomen, die gehen das Thema vielleicht anders an. Aber über die Gastronomie hereinzukommen, ist ja auch schwierig, weil es gibt, glaube ich, also meinen Erfahrungen nach, Gastronomen, die sind nicht wild auf das Thema, oder?
Gerrit Lerch: Nein, Gastronomen sind, wenn ich das so sagen darf, faule Leute. Ich weiß, klingt voll gemein. Ist ja auch nicht die richtige Bezeichnung. Die sind manchmal vielleicht ein bisschen festgefahren in dem, was sie schon immer gemacht haben. Und manchmal interessieren die sich gar nicht so für Innovation, weil sie sagen, das war schon immer gut und das bleibt auch irgendwie gut. Das Problem ist natürlich auch, dass auf viele, viele Läden einfach Bier-Lieferverträge laufen und Gastronomen sich oft darüber finanzieren. Das heißt, du, du holst dir Geld von irgendeiner großen Brauerei und verkaufst deren Bier. So sieht das aus. Von denen kriegst du die Erlaubnis, noch 2,3,4 andere Biere reinzustellen. Aber du weißt ja genau die Mengen, die du verkaufen musst, damit das mit denen auch keinen Stunk gibt. Das heißt, man kann sich natürlich finanzieren lassen von einer Brauerei. Legitim, aber man muss zumindest noch darüber hinaus eine andere, eine geile Bandbreite von anderen Bieren haben dürfen. So, das steht ja schon mal fest.
Stefan: Das heißt aber, diese Location hier sozusagen, die hatte kein Brauerei-Vertrag, weil sie halt vorher keine Gastronomie war.
Gerrit Lerch: Doch, die hatte einen Brauereivertrag. Okay, und jetzt wird es natürlich auch ein bisschen hässlich, weil wir haben ja noch einen Club hinten. Dieser Clubbereich ist halt sozusagen gepflastert mit Bieren, über die wir hier in diesem Podcast lieber nicht sprechen wollen. Aber das musste ich machen. Das war der bittere Drops, den ich schlucken musste, um den Bereich Galopper des Jahres freizubekommen von dem Gesamt-Brauerei-Vertrag. Den haben wir dann sozusagen hinten im Club abgearbeitet.
Regine: Ich glaube, es wäre auch schwierig, hier vorne diese Biere konkurrierend laufen zu lassen. Die Leute entscheiden im Zweifel immer nach Preis, oder?
Gerrit Lerch: Ja, also das ist auf jeden Fall ein Faktor, also der Preis, die preisgünstigsten Biere werden immer am meisten getrunken. Was natürlich noch dazukommt: Wir haben hinten im Club keine Zapfanlage. Also wenn wir da hinten zum Beispiel Konzerte haben oder Fußball-Veranstaltungen, dann kommen die Leute doch ganz gerne nach vorne und holen sich Fassbier. Und das ist ja auch legitim. Das sollen sie ja auch. Und das finde ich ehrlich gesagt immer schön zu sehen. Also ich muss gestehen, ich trinke immer, immer lieber ein gutes Fassbier als eine Flasche.
Regine: Okay. Das heißt, du bleibst bei dieser Strategie. Es wird hier weiterhin sehr ausgesuchte Biere geben im Galopper.
Gerrit Lerch: Ja, davon gehe ich fest aus.
Regine: Und natürlich auch das Prototyp.
Gerrit Lerch: Solange ich den Laden mache, bleibt das Prototyp.
(…)
“Mann, es ist doch immer irgendwie ein anderes Bier, mit dem man sich am liebsten gerade übergießen möchte.”
Gerrit Lerch
Stefan: Wir haben ja immer als Schlussfrage die Frage nach dem Bier für die einsame Insel.
Gerrit Lerch: Also, meine Frau würde definitiv auf eine kalte Insel. Aber ich kann jetzt sagen, das liegt mir eigentlich insgesamt weniger. Also es könnte schon eine warme Insel sein. Also ich meine, was soll man jetzt eigentlich sagen? Ich meine ja, es geht ja um zehn Jahre Prototyp. Aber wenn ich vorhin schon sage, ich hätte, ich hätte mich am liebsten mit dem Bock Ville von Maisel & Friends einbalsamiert, da muss ich sagen: Mann, es ist doch immer irgendwie ein anderes Bier, mit dem man sich am liebsten gerade übergießen möchte.
Stefan: Ja, das stimmt.
Gerrit Lerch: Aber das hat natürlich auch 7,3 % Alkohol.
Stefan: Also das ist eher für eine kalte Insel.
Gerrit Lerch: Das ist dann für die kältere Insel. Also komm, lass uns das Prototyp mitnehmen, oder?
Die nächste reguläre Folge erscheint am 31.03.23.
Header: HHopcast | Lisa Hantke
Termine
- 29.04.23 Brauerstammtisch mit Locksmith Brewing und Cool Cats in Town, Hamburg
- 14.04. 10 Jahre Prototyp, Kehrwieder Brauerei, Hamburg
- 26.04. Blindverkostung mit Mareike und Max, Beyond Beer, Hamburg
- 25.04. Lesung “Bier Unser” mit Mareike Hasenbeck und Gästen am Hahn, Überquell
Bierverkostung: Bockville, Maisel & Friends (Probierpaket)
Weitere Links
Bier Unser, Mareike Hasenbeck, Callwey Verlag