HHopcast auf Bier-Reise: Eindhoven trägt den Titel “Stadt des Lichts”. Uns hat dieser Ort zum Strahlen gebracht. Denn hier trifft Design und Geschmack auf beste Biere
HHopcast auf Bier-Reise in Eindhoven. Wir treffen Rik Verhalle, der uns die Stadt zeigt. “Sie ist vielleicht nicht das hübscheste Mädchen in der Klasse” , sagt der und hebt verschmitzt eine Augenbraue. “Aber das mit den meisten Tiefen.” Rik arbeitet als Social Activator bei Eindhoven365. Sein Job: Menschen für Eindhoven zu begeistern. Das wäre ihm vor ein paar Jahren noch schwer gefallen, damals, als er zum Studieren in die Stadt kam. “Der Ort wirkte verschlafen, hatte wenig Innovatives zu bieten. Eindhoven war in erster Linie eine Industriestadt.”
Dann kam der Change – und mit ihm ein Start-up-Spirit, der diese Stadt aus ihrem Dornröschenschlaf riss. “Heute sagen die Menschen hier stolz: Ich lebe in Eindhoven”, sagt Rik. Junge Unternehmen, designverliebte Läden und die Umnutzung alter Industriegebäude für Kreativzentren verleihen der niederländischen Stadt urbanes Flair. Höhepunkt: Die Dutch Design Week, die die Stadt zur Designhauptstadt Europas werden lässt.
Auch das Bier profitiert von dieser Entwicklung, denn inzwischen hat sich eine vitale Craft Beer Szene entwickelt, die Eindhoven mit neuen Hopfenkreationen jenseits der für diese Region prägenden belgischen Bierstile versorgt. Diese Stadt erfindet sich gerade selbst neu. Das spürt man, auch, weil die Menschen hier so offen und interessiert sind. Eindhoven ist kein überlaufener Touristikort. Es ist eine Perle, die entdeckt werden will.
Eindhoven, die Stadt des Lichts
Absolut prägend für Eindhoven: Philips. 1891 wurde das Unternehmen hier gegründet, damals noch mit Schwerpunkt Lichttechnik. Dieser Umstand verlieh Eindhoven auch den Titel “Stadt des Lichts”. Heute hat sich der Konzern weitestgehend aus der Stadt zurückgezogen, verblieben ist lediglich die Abteilung Research & Developement. Die unzähligen Philips-Logos, die überall in der Stadt prangen, erinnern an die goldene Philips-Ära. Nach dem Rückzug des Konzerns wurde es dunkel in der Stadt. Bis der Umschwung kam, verlassene Industriegebiete in Kreativ- und Start-up-Quartiere umgewandelt wurden und der Ort sein Strahlen wiederfand.
Bier, Design und Start-ups im Strijp-S
Eines dieser zu neuem Leben erweckten Industrieareale ist das ehemalige Philips-Gelände Strijp-S. Wohnen, Arbeiten und Entspannen in kreativer Atmosphäre und mit industriellem, hippen Charme gehen hier Hand in Hand. Künstler, Designer, Theatermacher und Musiker sind hier beheimatet, aber auch eine Brauerei.
Seit 2015 braut die Brouwerij Het Veem im Food Market Vershal het Veem im Strijp S in Eindhoven nicht nur Bier, sie bieten es zudem im eigenen Café an. Mit Blick auf die Lagertanks können hier 24 Biere vom Faß genossen werden. Innovator Blond oder Hop Creator IPA heißen sie. Der Fokus liegt auf modernen Bierstilen. Der Craft Beer Shop nebenan hat zudem eine gute Auswahl an lokalen und überregionalen Bierspezialitäten zu bieten. Hopfenmäßig gut gestärkt empfehlen wir euch, dieses lebendige Viertel einfach mal zu durchstreifen und euch inspirieren zu lassen.
Tipp: Der Montag ist ein eher schlechter Tag für dieses Vorhaben, viele Läden in Eindhoven sind dann geschlossen.
Schellens Fabriek: Schnaps und Bier statt Textilien
Wir befinden uns in der Schellens Fabriek, einer ehemaligen Tuchfabrik an der Dommel. Architekten, Design-Studios, Craft-Unternehmen und eine Bar haben in dem einstigen Fabrikgebäude ein Zuhause gefunden. Rik stellt uns Mark Migchels vor. Der war im Finanzwesen tätig, bevor er auf einer USA-Reise das Destillerie-Handwerk entdeckte und daheim mit seiner Frau Dianne flugs eine eigene Bottle Distillery eröffnete.
2016 war das. Die Schellens Fabriek empfindet er als ein tolles Umfeld, günstige Mieten und doch nah am Zentrum gelegen. “Die Nachbarschaft ist gut. Überhaupt hat sich Eindhoven toll entwickelt”, sagt Mark. Den Schritt raus aus dem Finanzwesen rein ins Craft-Business hat er nie bereut. “Zurück zur Natur. Wir arbeiten hier nur mit den besten Rohstoffen ohne Zusätze.”
Gin, Liköre und Kräuterbitter stellt das Paar in ihrer schmucken Destille her. Und den Lucky Bastard – ein Destillat aus Bier, kurz Bierbrand. Der ist preisgekrönt: Bei den Luxury Masters 2018 in London ergatterte er die Auszeichnung “Master” in der Kategorie Cognac & Brandy.
Der Bierbrand ist ein Destillat der alten Schule aus reinem Bier mit hohem Hopfen- und Roggenanteil. Nach dem Brennen lagert der Brand in Eichenholzfässern und erhält so seinen weichen Charakter. Wir dürfen testen. Starkes Zeug, auf vielen Ebenen, dabei verblüffend mild und doch aromatisch vielfältig. Mark und Dianne bieten regelmäßig Tastings an, um Besucher in die Welt der Destillate einzuführen. Echtes Handwerk, spannende Sache. Den Rohstoff für den Brand erhält Mark übrigens von der Stadsbrouwerij Eindhoven 100 Watt nebenan.
Stadsbrouwerij Eindhoven: Rob rockt
Erst Bierbrand, dann Bier: Wir wandern hinüber ins Café 100 Watt. Der Name ist eine Hommage an Philips, die Biere, die die Stadsbrouwerij Eindhoven hier serviert, haben sich von der Tradition freigespielt.
Am Braukessel steht hier Rob Bours. 20 Jahre lang war er Toningenieur, jetzt ist er der Meister der Spezialbiere in Eindhoven. Weil sein alter Job ihn zusehends nervte, entschloss sich der Heimbrauer, ganz ins Biergeschäft zu wechseln und die Musik lieber beim Brauen aufzudrehen. Er eröffnete die Brasserie Bours, traf 2014 auf eine Gruppe begeisterter Bierliebhaber, darunter David Hendrich, Autor des Buches “Historische Brauereien von Eindhoven” und Schöpfer von Eijkenrode-Bier, einer Plattform für Initiativen im Bereich Bier, Biergeschichte und andere bierbezogene Themen in Nordbrabant. Zusammen eröffneten sie das Café 100 Watt und die Stadsbrouwerij Eindhoven.
Rob ist kreatives Mastermind beim Brauen, und er hat eine klare Meinung in Sachen Bier. “Belgisches Bier hat mich so gelangweilt. Viel zu viel Zucker drin”, sagt er. Es ist dann auch kein Wunder, dass er das Orchestra of Angels, ein satt-cremiges New England IPA, zu den Favourites unter seinen Bieren zählt.
1700 hl braut Rob im Jahr. Am Anfang setzte er, ganz klassicher Hop Head, viel Hopfen ein. Inzwischen legt er wieder verstärkt Wert auf die Ausgeglichenheit seiner Biere. 100 verschiedene Bierspezialitäten hat er schon kreiert, im Jahr braut er rund 20 neue Biere, die sowohl in der Flasche in den Vertrieb gehen, aber vor allem an den insgesamt 14 Hähnen im Café 100 Watt hängen. Das Laden brummt, was der Mischung aus idyllischer Lage an der Dommel und der Bier- und der deftigen Speisekarte geschuldet ist. “Wir Niederländer mögen es frittiert”, sagt Rik und zuckt mit einem Grinsen die Schultern.
Rob ist zufrieden mit seinem Geschäft. Obwohl: “Es gibt inzwischen zu viele Brauereien in den Niederlanden”, sagt er und verschränkt die Arme. Zu viele Brauereien, zu wenig Konsumenten, die Wert auf gute Biere legen. Kennt man, auch in Deutschland.
Der erste Brewpub in Eindhoven: Van Moll
Noch ein Brauer, der früher in der Musikbranche unterwegs war: Erwin Van Moll war in seinem früheren Leben DJ und Musiker, heute führt er ein eigenes Bierlabel namens Van Moll, den gleichnamigen Brewpub und ein eigenes jährliches Bierfestival. Das Van Moll liegt mitten im Zentrum der Stadt und bietet 12 Hähne mit eigenen und 12 mit Bieren befreundeter Brauereien an. Rund 100 Gäste finden hier Platz. Die Atmosphäre ist rockig und gemütlich. Sticker zieren die Säule vor dem Tresen, viel Holz, bunte Fliesen an der Bar, Zeichnungen und Graffiti an den Wänden. Ein Ort mit eigener Note. Die haben auch Erwins Biere. Optisch, weil sie Comic-Tiere wie den frechen Waschbären auf dem Etikett haben. “Jedes der Tiere erzählt eine eigene Story zwischen scheinbarer Angepasstheit und wahrem Naturell”, sagt Erwin.
Irgendwie fancy. Irgendwie passend. Die Biere sind ausbalanciert, aber durchaus intensiv. Das Hoppy Weizen Langharig Tuig hat einen feinen Citrus-Bananen-Geschmack, das Bloody Herrie ist ein Blutorangen IPA, das die Van Molls für ein Punk Rock Festival gebraut haben. Spaßiges Citrus-Teil mit 10 Prozent Blutorange. Alles natürlich, keine künstlichen Inhaltsstoffe.
Musik ist also noch präsent in Erwins Leben. So präsent, dass es auf der Website eine eigene Spotify-Playlist zu jedem Bier gibt. Klasse Idee.
Auch das Van Moll hat am Montag geschlossen. Insofern: Lieber später anreisen und dafür eintauchen in Eindhovens Bier- und Designwelt. Wir kehren auf jeden Fall zurück. Cheers!
Mehr über Erwin Van Moll und seine Craft Biere erfahrt Ihr auch in der HHopcast-Podcast-Ausgabe #29. Hier geht’s zum Podcast!
Text: Regine Marxen
Hinweis: HHopcast wurde bei seinen Recherchen unterstützt von Eindhoven365, die auch die Übernachtung und Führung kostenlos zur Verfügung stellten. Danke an dieser Stelle an das gesamte Eindhoven365-Team und speziell an Rik Verhalle für seine Führungsqualitäten.
TIPP: Wer mehr über Eindhoven erfahren möchte, der erhält hier einen guten ersten Eindruck.
Header: ©Mitchell van Eijk