Gasthäuser und Bars leiden unter akutem Personalmangel. Können technische Tools wie Serviceroboter helfen? Oder ist es am Ende doch das Gehalt, das zählt? Die schlechte Nachricht: Es gibt keine einfachen Antworten. Die gute: aber Lösungsansätze. Erschienen in der Meiningers Craft 2/22.
„Die Personalsituation in der Gastronomie war noch nie so schwierig wie jetzt“, sagt Adrian Klie, CEO bei BrewDog Germany. Brauereien mit eigenem Gastronomieangebot und Bierbars stehen vor einer riesigen Herausforderung; ihnen fehlen Leute – im Service, in der Küche, im Veranstaltungsbereich. Minijobber oder Fachkräfte, egal. 80 Prozent aller Unternehmen beklagen laut einer Umfrage des Hotels- und Gaststättenverbandes (Dehoga) akuten Personalmangel. „Gastrojobs waren aufgrund der körperlichen Arbeit und der Arbeitszeiten immer schon eine große Herausforderung“, sagt Klie, „man hat aber auch immer Leute gefunden, die genau das mochten.“ Dann kam Corona.
Kurzarbeit, Schließungen, zu wenig Vertrauen in den Job
Die Covid-19-Pandemie ist der primäre Katalysator der akuten Personalkrise, die die Gastronomiebranche derzeit herausfordert. „Die Mitarbeiter haben durch die Kurzarbeit und teilweise Schließungen während der Lockdowns deutliche finanzielle Einbußen gehabt und haben sich insbesondere in der Zeit des zweiten Lockdowns wegen der scheinbar fehlenden Perspektiven entschieden, die Branche zu verlassen“, sagt Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Dehoga. Um es in Zahlen auszudrücken: Im Jahr vor der Pandemie arbeiteten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit noch 1,66 Millionen Menschen im Hotel- und Gaststättengewerbe, 2021 waren es noch 1,39 Millionen. „In den letzten zehn Jahren vor Corona hat die Branche fast 300.000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen, ein Plus von über 30 Prozent. Dieser Trend wurde durch die Pandemie abrupt beendet und umgekehrt.“
Bier selber zapfen? Ist das eine Lösung?
Jetzt sind Lösungen gefragt; Ansätze gibt es einige. Michael Solms, Inhaber der Craft Bier Bars in Hamburg, Hannover und Braunschweig, sieht die Sache pragmatisch und setzt auf Effizienz im Service, auf Selbstbedienung. Bestellt wird in seinen Läden am Tresen, egal, ob es sich um Pizza oder Bier handelt. „Als wir vor sieben Jahren in unseren Bars damit angefangen haben, haben mich viele belächelt. Wie kannst du das machen? Die Leute trinken ja dann viel zu wenig.“ Allen Zweiflern zum Trotz funktioniert sein Konzept – und Solms kann die Hälfte an Personal einsparen. Dieses Prinzip lässt sich übrigens noch toppen – mit Selbstzapfanlagen. Dachte er sich. In den Niederlanden und in Mannheim hatte der Gastronom sich verschiedene Bars angeschaut, in welchen die Gäste ihr Bier eigenhändig zapfen. In Hamburg startete er einen Test mit einigen wenigen Hähnen, an denen Bierfans selbst Hand anlegen konnten. Er scheiterte – an den Gästen. Häufigster Spruch: „Jetzt soll ich auch noch für vier Euro mein Bier selber zapfen.“
Mein Kollege, der Roboter
Dann doch lieber das Bier zapfen lassen. Zum Beispiel von Robotern. Klingt futuristisch, ist im Gastgewerbe aber durchaus Realität. Den Serviceroboter Bella Bot der Schweizer Firma Sebotics trifft man beispielsweise im Luzerner Restaurant Andulino. Er ist ein autonom fahrendes Vehikel mit Abladeflächen, ganz oben thront ein Touchscreen mit Katzengesicht und spitzen Katzenohren. Bestimmt ist er für das Leben vor dem Tresen, bringt den Gästen ihre Getränke und Speisen an den Tisch und kommuniziert mittels Schnurren oder Miauen. Ab 15.000 CHF ist dieser Geselle laut Unternehmen zu kriegen, die jährliche Wartung wird vom Hersteller empfohlen. Sein Gefährte, Robo-Barkeeper Toni, machte 2021 von sich reden, als er mit seinen zwei auf dem Tresen montierten Roboterarmen gegen die Weltklasse-Barkeeperin Silvia Daniela Istrate vor dem Mailänder Dom antrat und fleißig Drinks mixte.
Er kann aber auch Bier einschenken. Erdacht hat ihn die italienische Firma Makr Shakr. Kostenpunkt: 99.000€. CEO Emanuele Rossetti registriert seit Beginn der Covid-19-Krise durchaus eine steigende Nachfrage nach den robotischen Barkeepern, verweist aber darauf, dass auch Toni keine ganze Mannschaft ersetzen könne. „Der Roboter muss immer von einem Mitglied des Barpersonals unterstützt werden. Wir wollen eine echte Zusammenarbeit und Interaktion zwischen Mensch und Maschine schaffen.“ So ein Kollege fährt jetzt bei Maisel durch das Liebesbier, schreibt die Getränkezeitung. Ein Testlauf. Für die jungen Menschen sei das vollkommen normal, sagte Jeff Maisel in unserem HHopcast Nummer 72. “Auch in der Gastronomie können gewisse Dinge schneller gemacht werden. (…).” Wir behalten’s im Auge.
Fluktuation ist teurer als Invest in Personal
Digitalisierung kann Arbeitsprozesse erleichtern, zum Beispiel bei der Essensbestellung via App, aber seien wir ehrlich: Bei der Bestellung in einer Bierbar geht es eben doch oft um mehr. „Wenn ich 15 Pils an Tisch 17 brauche, dann kann sicherlich irgendwann ein Zapfautomat einschenken oder ein Roboter-Kellner bringt das Ganze“, sagt Adrian Klie. „Bei uns haben wir über 50 Hähne mit verschiedensten Geschmacksprofilen, da will man vorher schon mal drüber sprechen oder einen Taster probieren und – ganz ehrlich – auch mal mit dem Personal fachsimpeln.“ Bei BrewDog absolvieren deshalb alle Mitarbeitenden das US-Ausbildungsprogramm Cicerone. Das Programm ist in mehrere Level unterteilt, der Abschluss eines Levels wird mit einer jährlichen Bonuszahlung belohnt. Das motiviert.
„Das kann man nur über einen guten Prozess lösen, der fängt jetzt erst einmal mit den Arbeitszeiten und dem Gehalt an. Und dann sprechen wir über alle anderen Sachen.“
Ben Pommer
Auch das Berliner Brauerei-Unternehmen BRLO finanziert ihren Servicekräften den Certified Beer Server des Cicerone-Programms. „Wir haben diverse Workshops, die unsere Leute auf den Certified Beer Server vorbereiten“, sagt Ben Pommer, Geschäftsführer und kulinarischer Leiter der BRLO-Gastronomien. „Wir wollen den Habitus hinbekommen, dass Wissen geil ist.“ Das schafft ein Gefühl des Zusammenhalts und der Begeisterung. Genauso wie gemeinsame Mitarbeiterfeste, Transparenz, gute Löhne und Arbeitsbedingungen. In der Küche haben Pommer und sein Team inzwischen die vier-Tage-Woche eingeführt – bei gleichem Gehalt. „Das ist teuer, aber Fluktuation ist immer noch teurer“, sagt Pommer. „Wir bilden zudem aus in allen Handwerksberufen, die wir im Unternehmen haben. Dabei hilft uns sicherlich auch die Tatsache, dass wir als Marke etwas aussagen.“
Erst das Geld. Und dann?
Für Michael Feuerstein, Geschäftsfeldleiter Kultur & Tourismus bei Familie Maisel GmbH & Co. KG in Bayreuth, ist genau das ein Thema, das das Gastgewerbe erst noch entdecken muss: Employer Branding. Sie muss lernen, eine positive Arbeitgebermarke zu kreieren, die für etwas steht und die potenziellen Nachwuchs und Auszubildende anzieht. Er empfiehlt den Blick über den Tellerrand, in andere Branchen, in denen Personalmarketing bereits Teil der strategischen Unternehmensplanung ist. Dennoch ist es am Ende schlicht auch das Gehalt, das für den Arbeitnehmer zählt. Feuersteins Kollege Olaf Bloem, Geschäftsführer in dem Maisel-Kosmos zugehörigen Liebesbier Restaurant, ist sich dessen durchaus bewusst.
„Wir zahlen bereits heute deutlich übertariflich und auch über den Mindestlohn hinaus. Wir befinden uns auch schon über der 12 Euro Grenze, die bald kommen soll.“
2022 will die Bundesregierung den Mindestlohn auf 12 Euro heben. Ist das der entscheidende Schritt aus der Krise? „12 Euro sind knapp 20 Prozent mehr als zuvor, das könnte die Einstiegspositionen nochmal ein wenig attraktiver machen, aber insgesamt glaube ich nicht, dass das Thema Bezahlung alleinstehend irgendetwas lösen würde“, ist Adrian Klie überzeugt. „Wir müssen als Branche mehr Kraft aufwenden. Beispielsweise auch deutlich die Karrierechancen herausstellen, die Gastronomie und Hotellerie bieten.“ Auch Ben Pommer glaubt, dass das Problem komplexer ist. „Ich würde gerne mal ein Konzept machen, in dem der Kellner als Handwerker im Mittelpunkt steht. Damit dieser Beruf noch einmal eine andere Wertschätzung erlebt“, sagt er. Der Wandel aber muss von innen, aus der Branche kommen. „Das kann man nur über einen guten Prozess lösen, der fängt jetzt erst einmal mit den Arbeitszeiten und dem Gehalt an. Und dann sprechen wir über alle anderen Sachen.“