HHopcast Bierwissen Grutbier: Zurück zu den Wurzeln

Grutbier: Zurück zu den Wurzeln

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Bis ins 13. Jahrhundert hinein dominierten Kräuter, die sogenannte Grut, die Braukultur. Dann kam der Hopfen und verdrängte die Kräuter im Bier. Alles Geschichte? Ja, aber eine höchst lebendige.

Wie braute man im Mittelalter, vor dem Siegeszug des Hopfens und der Erfindung des Reinheitsgebots? Mit welchen Zutaten? Fragen, deren Antworten bisweilen schwer zu finden sind. Eine kleine, aber sehr vitale und internationale Szene von Bierliebhabern bemüht sich, diese zu finden. Sie erforschen das Grutbier, das mittelalterliche Kräuterbier.

Immerhin: Der Begriff selber ist leicht zu erklären. Grut bezeichnet die Kräutermischung, deren Zusammensetzung regional verschieden und streng festgeschrieben war. Verwendet wurden beispielsweise Schafgarbe, Beifuß, Rosmarin, Thymian, Salbei, Lorbeerbeeren, Anis, Kümmel, Wacholder oder Wermut. In Nordwesteuropa war der Gagel besonders wichtig, im Mittelalter auch Porst genannt. Er wurde ob seines zart-bitteren Aromas geschätzt. Gagel mag Sümpfe und schätzt Niederschläge, in Deutschland war er vor allem in norddeutschen Gegenden verbreitet.  So leicht wie der Name, so schwer ist die Zusammensetzung des mittelalterlichen Kräutercocktails heute nachvollziehbar.

Experten gehen davon aus, dass das Grutbier sich im 5. Jahrhundert von Skandinavien aus bis nach Großbritannien ausbreitete. Noch bis ins 13. Jahrhundert hinein war Grut fester Bestandteil der Bierwürze. In den Städten gab es vor allem in Norddeutschland sogenannte Gruthäuser, in denen der Gruter die geheime Kräutermischung herstellte und verkaufte. Denn: Wer brauen wollte, musste genau diese Mischung verwenden, sonst erfolgten harte Strafen. Im 14. und 15. Jahrhundert begann der Siegeszug des Hopfens. Er war schlicht billiger als Kräuter, zudem schätzte man seine konservierenden Eigenschaften. 1516, mit dem Erlass des Reinheitsgebot, war die Grut Geschichte. Vergessen ist sie deshalb noch lange nicht. Im Gegenteil.


Die Gruthaus Brauerei: Eine Verbeugung vor der Münsteraner Braukultur

Philipp Overberg Muenster Grutbier Gruthaus Brauerei
Philipp Overberg im Botanischen Garten in Münster. Foto: Regine Marxen / HHopcast


Philipp Overberg hat sich mit seiner Gruthaus-Brauerei in Münster ganz den historischen und regionalen Bierstilen verpflichtet. Dabei braut er nicht nur Grutbiere, wie der Name es vielleicht vermuten lässt. Der ist vielmehr eine Verbeugung vor der reichen münsterschen Braukultur, deren Zentrum im Mittelalter das sogenannte Gruthaus im Stadtzentrum gleich hinterm Rathaus war. An diesem Ort wurde die Kräutermischung hergestellt und verkauft. Städtische Angestellte – die Grutherren – bewahrten das Geheimnis um das Rezept. “Die waren einst die zweitwichtigsten Männer in Münster”, sagt Philipp Overberg. “Immerhin bestritt die Stadt zeitweise bis zu zwei Drittel ihrer Einnahmen durch den Verkauf von Grut.” Heute ist dort, wo noch bis ins 19. Jahrhundert hinein das Gruthaus stand, ein leerer Platz. Nur der Name Gruetgasse erinnert noch an die glanzvolle Vergangenheit dieses Ortes. Und auch das Rezept für die Münsteraner Grutmischung wäre für immer verloren, gäbe es nicht Philipp Overberg. Der fühlt sich nach eigenen Angaben rasch gelangweilt von weniger komplexen Aufgaben; das Thema Grut kommt ihm da ganz gelegen, es beschäftigt ihn schon eine ganze Weile. Schließlich, sagt er, gehe es nicht darum, einfach ein Kräuterbier herzustellen. “Ein Kräuterbier ist nicht automatisch ein Grutbier”, definiert er meinungsfreudig. “Es hat immer auch eine historische Dimension, die es zu erforschen gilt. Sonst wäre ja jedes IPA mit Gagel auch ein Grutbier.”

Gagel: Ein teures und rares Gewächs


Der 47-Jährige ist studierter historischer Sprachwissenschaftler, und mit diesem speziellen Blick nähert er sich der Materie Grut. Er forscht in altniederdeutschen Schriften, in Bücher und historischen Aufzeichnungen wie Inventarlisten oder Grutamtsrechnungen der Stadt Münster, um dem geheimen Grut-Rezept auf die Spur zu kommen. Auf diese Weise rekonstruiert Overberg die mutmaßlichen Zutaten für den mittelalterlichen Kräutercocktail: Wacholder, Kümmel und Gagel. Gerade Gagel war extrem wichtig für die Grutproduktion. “Das Münsterland war mit Mooren gesegnet, also wuchs hier Gagel. Ihn zu ernten, war schon damals aufwendig und teuer. Man hat es wegen seiner hervorragenden Qualitäten trotzdem getan. Zum einen wegen des milden, bitteren, harzigen Aromas, zum anderen wegen seiner konservierenden Eigenschaften, dem Hopfen ähnlich. Der Hopfen hindert unter anderem die Bildung von Lactobazillen. Das ist mit Gagel auch so.” Aus Brauersicht mag Gagel ein äußerst angenehmes Gewächs sein.

In der Beschaffung aber zeigt er heute zickige Attitüden. Denn er ist als Sumpfpflanze rar gesät und somit geschützt. Im Botanischen Garten in Münster steht ein Strauch. Ernten verboten. Europas letzter Gagelpflücker lebe, so Overberg, in Schottland. “Dort gibt es noch so große Vorkommen, dass er eine Pflückerlaubnis hat.” Für das begehrte Kraut greift der Grutherr tief in die Tasche. “Der Preis liegt bei 260 britischen Pfund pro Kilo. Und für eine Batch braucht man viel!” Neben dem Preis ist auch das Bearbeiten der Rohstoffe arbeitsintensiv. “Ich sitze nächtelang da, um den Gagel, Wacholder und Kümmel zu zerkleinern. Das mache ich händisch, mit ihren Harzen haben die Kräuter bereits drei Küchenmaschinen zerstört.”

Jan Kemker ist der Experte für historisches Brauen

Jan Kemker Muenster Grutbier
Foto: Kemker

So weit, so mühsam. Und das ist erst der Anfang. Denn zum Brauen eines Grutbieres nach mittelalterlichem Vorbild gehört eben auch die historische Brauweise. Einer, der sich damit auskennt, ist Jan Kemker. Seit 2017 betreibt der 30-Jährige seine kleine Brauerei auf einem Bauernhof in Alverskirchen, nur zehn Kilometer von Münster entfernt. “Wir packen die Biergeschichte unserer Region Münster in Flaschen” steht auf der Homepage des Unternehmens. Dafür hat sich Jan Kemker ein Netzwerk regionaler Landwirte aufgebaut, braut mit alten Rezepten und lässt seinen Biere gehörig Zeit, in Holzfässern zu reifen. Um die zehn Prozent seiner eigenen Produkte sind Grut- oder Kräuterbiere. Er braut beispielsweise mediterrane Biere mit Rosmarin, Lavendel und Minze oder stellt auch mal eine Art Saunabier mit der Birke aus Omas Garten und Roggen her.

Zusammen mit Philipp Overberg, “der Brain und Bierhistoriker im Team”, wie er ihn nennt, hat er sich das Projekt “Reinkarnation des Münsteraner Grutbieres” vorgenommen. Das Ergebnis dieses Gemeinschaftssuds trägt den Namen Dubbel Porse und fusst in seiner Rezeptur im Wesentlichen auf einer Münsteraner Urkunde von 1480. Neben besagtem Gagel, Kümmel und Wacholder kommt bei diesem Bier auch Hopfen zum Einsatz. “Hopfen und Grut schließen sich nicht aus”; sagt Jan Kemker. “Auch in Dänemark und Norwegen wurde Gagel in Kombination mit Hopfen und teilweise mit Wacholder verbraut. Wir können davon ausgehen, dass es eine lange Übergangsphase zwischen Grutbieren und reinen Hopfenbieren gab, um die 300 Jahre, in denen immer wieder beide Kräuter zum Einsatz kamen.”

Münster hat wieder ein Grutbier: Die Dubbel Porse

Dubbel Porse Grutbier
Foto: Marxen / HHopcast

Erstmals haben die beiden ihre Dubbel Porse anlässlich des International Gruit Days am 1. Februar 2018 gebraut, in kleiner Menge von vier bis fünf Hektolitern. “Wir brauen mit Rohfrucht, also unvermälztem Getreide, kochen mit Doldenhopfen und Kräutern. Es wurde mit verschiedenen teilweise wilden Hefekulturen vergoren, mit Brettanomyces und Lactobazillen” beschreibt Jan Kemker den Brauprozess. “Das Bier reift dann ca. 5 bis 15 Monate. Wann es fertig ist, entscheidet es selber. Im Grunde wird dieses Bier so gebraut wie vor 500 Jahren!” Das Ergebnis: “Eine Mischung aus Cocktail und einem italienischen Kräuterbitter mit 6,5 % vol.” Das Grutbier kommt mit feiner Säure daher. Der Hopfen sorgt für eine leichte Bitterkeit im Abgang. Der Gagel macht sich sowohl im Geruch als auch am Gaumen mit harzig-süßer Note bemerkbar.

Die von Hand abgefüllten Flaschen kosten zwischen 13 und 18 Euro pro Stück. “Eigentlich müssten sie 25 Euro kosten”, sagt Jan Kemker, der auch als Brauereiberater arbeitet. Aber der Markt sei einfach zu klein für solche Preise. “Wenn nicht ein Wunder geschieht, wird der auch nicht größer”, sagt Phlipp Overberg. Lassen sich die beiden davon abschrecken? Nein, stattdessen haben sie das Deutsche Institut für Grutkultur ins Leben gerufen, um ihr Projekt voranzutreiben. Jan Kemker bringt es so auf den Punkt: “Wenn Du die Geschichte von Grutbier erzählst, sind die Leute begeistert. Und kaufen das Bier. Also erzählen wir sie.”


Grut- oder Kräuterbier? Egal! Hauptsache, es schmeckt

Pia Morgenroth von G'broi macht Grutbier. Foto: G'Broi
Pia Morgenroth. Foto: G’Broi


Die Geschichte hinter dem Kräuterbier erzählt auch Pia Morgenroth, zum Beispiel bei den Verkostungen ihrer Kräuterbiere in Bio-Märkten. Oder auf dem renommierten Leuven Innovation Beer Festival in Belgien. Vor rund zwei Jahren hat sich die Berlinerin mit ihrem G’Broi selbstständig gemacht. Drei Sorten hat sie im Angebot, allesamt biozertifiziert und um die 5 % vol stark : Die “Wilde Nessel” mit Gundermann und Brennessel, die “Stolze Blüte” mit Holunderblüten und das “Schwarze Schaf” mit Schafgarbe und Beifuss. Entwickelt hat sie diese in zahlreichen Versuchssuden auf ihrer eigenen 100 l Anlage. Die hat sie inzwischen geschlossen, “weil ich mich nicht gleichzeitig um den Vertrieb und das Brauen kümmern kann.”

Ihre Biere lässt die 47-Jährige derzeit in der Brauerei Hartmannsdorf bei Chemnitz und im Craft Beer Zentrum Berlin brauen. 2019 hat sie insgesamt 25.000 Liter Kräuterbier umgesetzt. Anders als Jan Kemker und Philipp Overberg verzichtet sie in ihren Rezepturen auf Hopfen. “Weil es schon genug gute Biere mit Hopfen gibt und er geschmacklich vieles überlagert.” Und noch etwas unterscheidet die Berliner Bierunternehmerin von den Münsteraner Kollegen: Ihre Biere, oder alkoholische Kräuterdrinks, wie sie sie nennt, folgen den Rezepturen von historischen Vorbildern wie die Benediktinerin Hildegard von Bingen, die zum Brauen vielfältigste heimische Kräuter verwendete.

Ihr Anliegen ist es, die traditionelle Kunst des Brauens mit Kräutern für den heutigen Konsumenten zu übersetzen. “Dabei geht es mir vor allem um die Wirkung der Heilpflanzen auf Körper, Geist und Seele.” Pia Morgenroth ist studierte Ökotrophologin. Mit Kräutern hat sich die Berlinerin immer schon beschäftigt. Dass diese dann auch ins Bier gehören, ist für sie nur ein logischer Schritt. Beim Brauen selbst folgte sie zu Beginn ihrer Intuition: Ich habe Brennessel, Spitzwegerich und Gundermann gesammelt, Rezepte recherchiert und in meiner Küche das erste Bier angesetzt. Gundermann eignet sich durch eine feine Bitterkeit zum Brauen, die Holunderblüte bringt die Süße ins Spiel. Ihr ist klar: Ihre Zielgruppe ist klein und muss einen Hang zu Genuss und gesunder Ernährung haben. 2020 will sie den Sprung in die Gastronomie schaffen. “Ich fände schön, wenn Kräuterbiere sich etablieren würden. Das braucht seine sechs bis sieben Jahre. Aber hier geht es um Vielfalt. Und da gehören diese Biere einfach dazu.”

Dieser Artikel ist erstmalig erschienen in der Meiningers Craft, Ausgabe 02/20
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