HHopcast auf Bierreise in Belgien: Nur 30 Autominuten von Brüssel entfernt liegt die heimliche Hauptstadt Belgiens. Zumindest in Sachen Bier
Gekürzte Version. Dieser Artikel wurde veröffentlicht in Meiningers Craft 1/20.
Auf Bierreise in Belgien – zu Gast in Leuven, Belgiens Bierhauptstadt. Quirlige, kleine Gassen, die sich durch die Altstadt ziehen. Liebevoll restaurierte Hausfassaden, mitten drin das Rathaus, das mit seinen mit 236 Statuen verzierten Mauern zu den bekanntesten gotischen Bauwerken der Welt zählt. Dazu unzählige Cafés, Bars und Restaurants: Leuven ist Postkarten-Idylle pur, der Traum eines jeden Instagram-Bloggers. Rund 98.000 Einwohner zählt dieses Städtchen im belgischen Flandern. Jedes Jahr im September kommen um die 50.000 Bewohner hinzu. Dann ist Semesterbeginn an der Katholieke Universiteit Leuven, kurz KU Leuven, der ältesten und größten Universität Flanderns. Mehr als 140 Nationen vereint sie unter ihrem Dach, 2018 stand sie bereits zum dritten Mal auf Platz 1 im Reuters Ranking der innovativsten Universitäten in Europa.
Das Thema Bier spielt auch hier eine Rolle: Das zur Universität gehörende Leuven Institute for Beer Research (LIBR) hat einen hervorragenden Ruf in der Getränkeindustrie. Hier geht’s ans Eingemachte. Hier geht’s ums Bier. Willkommen in Leuven.
Leuven: Aufstieg und Niedergang einer Bierstadt
Die Leuvener bezeichnen ihre Stadt selbstbewusst als die Bierhauptstadt Belgiens. Mit Recht, denn diese Aussage fusst schließlich auf historischen Fakten. Die Dijle, die vom Zeitgeschehen unbeirrt mit rasantem Tempo durch den Ort fliesst, sorgte im 12. Jahrhundert für gute Verkehrsanbindungen und ließ die Stadt zum Handelszentrum werden. Außerdem lieferte sie frisches Brauwasser. Bier war damals gesünder als Wasser und wurde als leichtes Tafelbier quasi rund um die Uhr gereicht. Noch bis ins 18. Jahrhundert hinein reihten sich die Brauereien entlang der Dijle wie eine Perlenkette aneinander; nicht weniger als 42 Betriebe gab es damals im Ortszentrum.
Von den einst rund 3200 Braubetrieben waren 1946 nur noch 775 übrig – und die Zahl sank weiter
Dann kam die Wende. Sie traf nicht nur Leuven, sondern ganz Belgien: Im 19. Jahrhundert eroberte das tschechische Pilsener den Markt und machte den belgischen Brauern das Leben schwer. Der Erste Weltkrieg versetzte vielen kleineren Braubetrieben den endgültigen Todesstoß. Kupferkessel und Inventar wurden von den deutschen Truppen konfisziert und flossen unter anderem in die Waffenproduktion. Es folgten die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre und der Zweite Weltkrieg. Mitte des 20. Jahrhunderts schließlich lag die belgische Brauereilandschaft röchelnd am Boden. Von den einst rund 3200 Braubetrieben waren 1946 nur noch 775 übrig – und die Zahl sank weiter. Immer mehr kleine Brauereien starben im Wettbewerb mit den großen, sich zunehmend konsolidierenden Braukonzernen. Sie gaben auf oder wurden von den Big Playern übernommen. Mitte der 80er Jahre dann kam der Umschwung: Heute existieren in Belgien rund 500 Betriebe.
Stella Artois: Big Brother is brewing, brewing, brewing
Und in Leuven? Die Liebe zum Bier ist in dieser Stadt unübersehbar. Nicht nur, weil sie im April jeden Jahres zum Bier-Mekka wird. Dann nämlich finden die Leuven Beer Weekends statt. Höhepunkt: Das Zythos Beer Festival mit über 500 teilnehmenden Brauereien. Auch den Rest des Jahres über herrscht kein Biermangel. Mehr als 240 Kneipen und Cafés befinden sich alleine in der Innenstadt. Um den Oude Markt im Herzen der Stadt reihen sich rund 40 Bierbars. Am Wochenende pulsieren hier das Leben und die Zapfhähne zum Beat der Nacht. Nicht umsonst trägt der Platz den Titel “längster Tresen der Welt” – Düsseldorfer werden das ungern hören.
Von den einst 42 Braubetrieben aber ist wenig übrig. Lediglich zwei Brauereien gibt es heute im Ortsinneren. Das Domus Brauhaus – und Stella Artois, eine Marke des weltgrößten Brauereikonzerns AB InBev. Aber im Schatten des Riesens formiert sich eine neue Braukultur. Das 1985 eröffnete Domus in der Tiensestraat nahe des Rathauses markiert den Beginn dieser Bewegung. Es überrascht mit einer besonderen Trick: Statt das Bier in Fässern zu transportieren, fließt es durch eine Pipeline von der Brauerei über die Straße hinweg in das urig-verwinkelte Brauhaus gegenüber. Frischer geht’s kaum. Das wirkliche Abenteuer aber finden Bierliebhaber jenseits der Leuvener Stadtgrenzen. Der Blick über den Tellerrand ins nahe Umland lohnt sich.
Die Brouwerij De Kroon: Hier braut der Bierprofessor
Die Brouwerij De Kroon hat ihre Heimat in Neerijse, gerade mal 20 Bus-Minuten von Leuven entfernt. Es ist ein besonderer Ort. Eingebettet in grüne Felder und dörflichem Frieden strahlt der Gebäudekomplex mit dem Kopfsteinpflaster, roten Backsteingebäuden und dunklen Holztüren Gemütlichkeit aus.
Vor allem aber wurde er geschaffen von einem der anerkanntesten Bierexperten Belgiens: von Professor Freddy Delvaux, auch der Bier-Professor genannt. Der heute 75-Jährige war lange Labor-Direktor bei Interbrew, bevor er an die KU Leuven an das Centre for Malting and Brewing Sciences (CMBS) wechselte. 2013 machte er sich zusammen mit seinen Söhnen Filip und Peter daran, der alten Brauerei De Kroon vor den Toren Leuvens neues Leben einzuhauchen und eine eigene Brauerei nebst Bierlabor aufzubauen.
“In Belgien gibt es nicht so viele Regeln für die Definition von Bierstilen. Die Deutschen hingegen arbeiten zu sehr in festen Bierstilen und mit festen Vorgaben.”
Filip Delvaux
Seit 1983 war an diesem Ort kein Bier mehr geflossen. Heute stehen hier ein Besucherzentrum, in welchem eine der in Flandern letzten handwerklich arbeitenden Brauerei mit vollständiger Ausrüstung besichtigt werden kann, eine neue Brauerei und ein Gasthaus, in dem Verkostungen angeboten werden. Das eigentliche Herz des Familienunternehmens aber ist das Bierzentrum Delvaux, das aus einem Hightech-Labor, einem Degustationsraum und einer kleinen Testbrauerei besteht. Mehr als 300 Hefestränge umfasst ihre Kartei, über 400 Biere im Jahr werden hier auf Herz und Nieren geprüft. Das Triple Karmeliet oder das Seef Bier gehen auf das Konto des Bierprofessoren. Seit der sich zunehmend aus dem Betrieb zurückzieht, leitet sein Sohn Filip die Geschicke im Labor und in der Brauerei. 700 hl braut die Familie Delvaux im Jahr.
“Das produziert Stella Artois in vier Stunden”, sagt Filip und zuckt mit den Schultern. Er mag es klassisch, NEIPAS nennt er lächelnd “Hopfensaft”, alkoholfreie Biere Limonaden. Spielereien eben, aber keine erwachsenen Biere, wie zum Beispiel sein JOB, ein Blond mit dem Aroma von grünem Apfel.
Oder das Super Kroon, ein Blend aus 90 Prozent Kultur-Hefen und 10 Prozent Spontan-Gärung, ein Amber Ale mit zart-saurer Attitüde. Klassische Bierstile mit modernem Twist dominieren das De-Kroon-Portfolio. Auch wenn Filip Bierstile eher als Begrenzung empfindet. “In Belgien gibt es nicht so viele Regeln für die Definition von Bierstilen. Die Deutschen hingegen arbeiten zu sehr in festen Bierstilen und mit festen Vorgaben. Warum? Wer will ein Bier lediglich kopieren statt neu kreieren?”
Hof ten Dormaal: Die Farm Brewery
Eine Meinung, die der Brauer Andre Janssens teilt. Neben der Tatsache, dass auch er einen Familienbetrieb leitet, ist das eine der wenigen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Brauereien. Denn der Hof ten Dormaal ist eine Farm Brauerei – und Experimente in Sachen Bierbrauen sind hier Konzept. “Wir leben vom Export und von Beer Geeks, deshalb probieren wir viele Stile aus”, sagt Andre.
Er sitzt in seinem Gastraum, den die Janssens auf dem Hof neben dem Haupthaus eingerichtet haben. Der Blick zur Tür hinaus offenbart weite Felder.
Meine Meinung: Macht eure eigenen Biere und trennt euch von Kopien. Schaut euch eure Traditionen an und macht was Neues draus. Seid innovativ!”
Andre Jannssens, Hof ten Dormaal
Seit 2009 produzieren Andre und seine Frau Lisa zusammen mit ihren Söhne Dries und Jef auf ihrem Bauernhof Bier. Der Weg zum Brauereibesitzer war ein eher ungewöhnlicher. Nach einem Hirnschlag verlor Andre seinen Job als Buchhalter. Er wurde depressiv, Lisa sandte ihn darauf hin in die USA. “Ich reiste nach Butte in Montana. Dort stand eine Brauerei zum Verkauf. Ich kehrte nach Hause zurück, mit einem Lächeln. Meine Frau gefror ihres, als ich sagte: ‘Wir eröffnen eine Brauerei.’”, erinnert sich der 61-Jährige. Die 20 ha große Farm hätte er schon zuvor besessen, als eine Art Hobby. “Dries jedoch wollte Farmer werden. So kam Brauerei und Landwirtschaft zusammen. 2016 aber hatten wir einen Brand, wir haben große Teile der Brauerei und den Markt verloren. Und der Markt selber hat sich auch verändert. Nun ist es ein Wettbewerb. Aber wir versuchen es weiter.”
Eine Projekt, von dem sich die Janssens besonders viel versprechen, ist der Hopfenanbau. Experimente bestimmen ihre Arbeit auch bei den Bieren. In einem Keramiktank lagert gerade ein 1000-Liter-Sud mit Apfelblüten. Sein Saison “Dad’s Team” braute Andre mit grünem Jasmin Tee. Sein Wit Goud ist ein starkes, belgisches Witbier mit Chicoree. Aus Eigenanbau, klar. Unzählige Holzfässer hat die Familie inzwischen für ihre zahlreichen Barrel Aged Projekte gesammelt. Sie lagern in und vor den Scheunen. “Wenn Du heute eine Brauerei aufmachst, machst du IPAs. Meine Meinung: Macht eure eigenen Biere und trennt euch von Kopien. Schaut euch eure Traditionen an und macht was Neues draus. Seid innovativ!”
Leuven: Zwischen Tradition und Zukunft
Mit diesem Imperativ im Kopf hat Andre Janssens das Leuven Innovation Beer Festival ins Leben gerufen. 15 von ihm kuratierte Brauereien aus aller Welt präsentieren dort ihre Kreationen. Es ist Teil der Leuven Beer Weekends im April und findet an dem Ort statt, wo 1926 Stella-Artois das Licht der Welt erblickte: In der ehemaligen Brauerei und dem heutigen Veranstaltungszentrum De Hoorn in Leuvens aufstrebendem Viertel Vaartkom.
Nur eine Viertelstunde Fußweg trennt das einstige Industriegebiet von der Innenstadt – und doch weht hier ein gänzlich anderer Wind. Gotische Fassaden und pittoreske Lieblichkeit? Fehlanzeige. Hier entsteht das neue Leuven: Wohnen, Arbeiten und Amüsement im modernen, urbanen Look.
Direkt neben De Hoorn hat sich Bram mit seiner Gastrobar Hop niedergelassen. Der helle Raum mit offener Küche hinter dem Tresen passt zum innovativen Konzept der Speisekarte: Bistronomy, so beschreibt Inhaber Bram seine Arbeit. Dahinter verbergen sich ein kontrolliertes Minimum an Zutaten in Wechselwirkung mit einer Portion Kreativität und Wagemut. “Das perfekte Paar für ehrliche Gerichte ohne Schnickschnack.” Der Wagemut kommt hier auch in Form der Bierbegleitung zum Vorschein, die der Gast anstelle des Weines wählen kann.
Das zitrus-hopfige Blond Taras Boulba von der Brasserie de la Seine gesellt sich zur Wassermelone mit Feta und Kräutern aus Brams eigenem Garten. Ein Glas 3 Fonteinen, der Champagner Belgiens, perlt hervorragend zu Blumenkohl, Bulgur, Petersilie und Parmesan. Ein sensorisches Erlebnis. Kommt das beim Gast an? Bram überlegt. “Ich hätte gerne noch mehr Bier am Tisch. Die meisten wählen doch Wein.” Er wirft sich sein Küchenhandtuch über die Schulter. “Manchmal ist es eben eine Mission.”
Text + Fotos: Regine Marxen. Die Schreibfrau, Hamburg
Biertermine Leuven 2020
- 11.-12.04.2020, Leuven Innovation Beer Festival
- 18.-19.04.2020, Food & Hops
- 25. – 26.04.2020, Zythos Bierfestival
Brauereien in und um Leuven
Stella Artois, Aarschotsesteenweg 20
Domus Brauhaus, Jozef Vounckplein 3
De Kroon, Beekstraat 20, Neerijse
Brauerei De Vlier, Leuvensebaan 219, Holsbeek
Hof ten Dormaal, Claubergstraat 2, Haacht
Ausgewählte Bars und Restaurants in Leuven findet Ihr in diesem Blogbeitrag.
Mehr Bier in Belgien gefällig? Hier geht’s nach Antwerpen.